Freitag, 29. Juli 2016

Gesamtkonzept Elbe

Die Diskussionen um die Zukunft der Elbe ergeben an sich schon "endlose Flussgeschichten" (um beim Titel des diesjährigen Camp zu bleiben). Seit 2012 gibt es einen Runden Tisch "Gesamtkonzept Elbe", an dem Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Naturschutz und Kirchen über die Zukunft der Elbe beraten und versuchen, einen Konsens zu finden. In einer öffentlichen Diskussion gab es am Freitag Nachmittag Informationen zum Runden Tisch und den öffentlich verfügbaren Inhalten der aktuellen Beratungen. Ziel des Runden Tisches ist, bis November das Gesamtkonzept für die Elbe vorzulegen. Jutta Röseler freute sich, dass jetzt allmählich ein Umdenken stattfindet und nicht alein die Wirtschaft das Sagen hat. "Es scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, daß man mit mehr Schotter und Beton nicht mehr Wasser bekommt", sagte sie.

Aus der Landespolitik war Wolfgang Aldag, für die Grünen Mitglied des Landtages Sachsen-Anhalt, ins Camp gekommen, um sich über den Stand der Diskussion zu informieren.



Jutta Röseler stellte in ihrem Vortrag dar, daß die Elbe bis weit ins19. Jahrhundert hinein ein unregulierter, frei fließender Fluß war, der sich im Raum zwischen den Deichen sein Bett suchte. Auch zu der Zeit fand Schiffahrt statt. Flußangepaßte Schiffahrt, wie man hinzufügen muß. Der Ausbau der Elbe hatte seinen Ursprung bereits im Wiener Kongreß 1815, bei dem allen Anrainern Zugang und freie Schiffahrt versprochen wurde. Im Jahr 2016 wurde der 150. Jahrestag der Elbstrombauverwaltung gefeiert. Das heißt auch, daß seit 1866 Einfluß auf die Schiffbarkeit genommen wurde.

Röseler verdeutlichte in ihrem Vortrag anhand alter Dokumente im Vergleich zur heutigen Situation, welche Auswirkung der Bau vor allem der Buhnen hatte. Der vorher über hunderte Meter Breite frei fließende Fluß wurde auf sein heutiges Bett festgelegt. Mit einer Verbesserung der Schiffbarkeit – aber auch mit den damals noch gar nicht absehbaren Folgen wie Erhöhung der Fließgeschwindigkeit, Eintiefung des Flusses und Veränderung der Auenlandschaft. In der Folge kommt es auch zu höheren Hochwasserscheiteln.

Wenn es erklärtes Ziel des Runden Tisches ist, einen Konsens zwischen Wirtschaft und Naturschutz herzustellen, dann wird das aber weiterhin durch Forderungen z.B. aus Tschechien konterkariert, das trotz nachgewiesener Unmöglichkeit durchgängig eine Fahrrinnentiefe von 1,60 Meter an 345 Tagen fordert. Ebenso sträubt sich auch die hiesige Schiffahrt anzuerkennen, daß das Wasser fehlt, und fordert 1,60 m Fahrrinnentiefe.

Hat sich im Land Sachsen-Anhalt durch den Regierungswechsel etwas geändert? Wolfgang Aldag konnte von Erfahrungen aus Halle, vom dortigen Saale-Stammtisch berichten, dass jede Seite den Koalitionsvertrag anders interpretiert. Während er wie alle Grünen im Landtag für den Schutz der Natur eintritt, bejubelt das Verkehrsministerium, "die Grünen hätten dem Saalekanal zugestimmt". Daß dies im realen Leben nicht so ist, verdeutlichte auch Jutta Röseler: "der Verkehrswegeplan ist derart unterfinanziert", sagte sie, "daß nur Projekte des vorrangigen Bedarfs überhaupt Chancen auf Durchführung haben. Der Saalekanal steht dabei ganz hinten." Und Paul Dörfler vom Elbe-Projekt des BUND konnte hinzufügen, dass der Saalekanal ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 0,2 hat (also für jeden investierten Euro über die gesamte Nutzungszeit hinweg nur 20 Cent wieder als Nutzen zurückkommen). Und er erklärte, warum gerade der sachsen-anhaltische Verkehrsminister so vehement den Kanal fordert: "Ihm geht es gar nicht um die Schifffahrt", sagte Dörfler, "es geht nur um Geld für Bauvorhaben. Geld daß zu 100 Prozent vom Bund kommt und für das das Land nichts gegenfinanzieren muß. Und der Bund möchte keinen Streit mit Sachsen-Anhalt, da werden lieber die Millionen zum Fenster hinausgeworfen". Und er fügte hinzu, "Viele machen sich noch Gedanken um die Schiffahrt. Die brauchen wir uns aber nicht mehr zu machen – die hat längst selbst entschieden und sich die meiste Zeit des Jahres von der Elbe abgewendet".

Aus den Erkenntnissen am Runden Tisch leitete Jutta Röseler die erforderlichen Maßnahmen ab:
Stop der Erosion, die Zugabe von Geschiebe reicht allein nicht aus.
Ökologische Verbesserung des Flusses
Aufweitung des Flusses – auch wenn dann zunächst das Wasser noch ein paar Zentimeter sinkt und der neue Zustand sich erst allmählich einstellt.
Auf einen Zwischenruf aus dem Publikum, ob man dann nicht die Schiffahrt einstellen und die Elbe sich selbst überlassen müßte, antwortete Röseler: "Nein, so sehe ich das nicht, die Schiffahrt wird erhalten bleiben, aber sie muß umweltverträglich stattfinden". Was das heißt, wurde in der Diskussion deutlicher. Das flußangepaßte Binnenschiff wurde bereits untersucht, aber als zu teuer verworfen. Vielmehr muß sich "die Schiffahrt nach dem Fluß richten und dann fahren, wenn Wasser da ist", sagte Röseler. Der Fluß muß sich wieder mehr in die Breite ausdehnen können, dann wird er auch wieder Material aus dem Seitenraum holen.

Nach dem Vortrag wurde es praktisch: anhand einer Vermessung des aktuelle Wasserstandes wurde der Bezug zwischen dem Mittelwasser bei Bau der Buhnen vor hundert Jahren und dem aktuellen Mittelwasser hergestellt. Die Differenz ergab die bisherige Eintiefung des Flusses. In Barby etwa 75 Zentimeter (an anderen Orten mit weicherem Untergrund sind es bis zu 2 Meter).  

Paul Dörfler wies beim Fußmarsch zurück über die Elbwiesen noch auf einen anderen, weithin unbekannten Aspekt der Buhnen hin: "Unter der Wiese, auf der wir  jetzt stehen, setzt sich die Buhne noch viele Meter fort. Das heißt, früher war das alles hier noch Elbe-Gebiet, nur ist jetzt der Raum zwischen den Buhen bis weit in den ursprünglichen Fluß hinein mit Elbe-Kies und -Sand aufgefüllt, als Resultat des Buhnenbaus."

Jutta Röseler bei der "Vermessung der Elbe"
Diskussion der Eintiefung der Elbe, mit Jutta Röseler,
Wolfgang Aldag, Ernst Paul Dörfler, Iris Brunar (v.l.n.r.)

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